Wendepfarrer zu Besuch in Klingenthal

Ein Beitrag von Helmut Schlangstedt, 2011

Klingenthal gehörte vor 20 Jahren zu den ersten Orten, in denen sich Widerstand gegen die sozialistische Staatsmacht formierte. Am 13. Oktober 1989, nachdem in Plauen am 7. Oktober und in Leipzig am 9. Oktober Großdemonstrationen stattgefunden hatten, kam es hier zum ersten Aufbegehren. Zur Erinnerung fand am Freitag in der Rundkirche ein Gedenkgottesdienst statt.

Einer der Aktivisten der ersten Stunden war Frank Meinel aus dem Erzgebirge, 1986 bis 1993 Pfarrer der Rundkirche. Schon lange vor der Wende formierte sich hier leiser Widerstand. „Die Leute trafen sich zu Bibel- und Gesprächskreisen und zu Friedensgebeten“, erinnert sich der 49-Jährige. „Beim Studium meiner Stasi-Akte, die einen halben Meter hoch war, erfuhr ich, dass drei hauptamtliche und zwölf inoffizielle Mitarbeiter auf mich angesetzt waren“, berichtet er und ergänzt, dass er sogar zur Internierung in ein Lager vorgesehen war.

Am 13. Oktober 1989 zur ersten Demo mit rund 300 Teilnehmern befand er sich gerade auf der Rückreise von seinem Urlaub. Aus diesem Grund öffnete Pfarrer Christoph Neuhof aus Brunndöbra die Rundkirche, wo sich die Teilnehmer des Protestzuges versammelten. Eine Woche später, am 20. Oktober, waren es 2500 Teilnehmer, die die Kirche gar nicht fassen konnte. An diesem Tag traten unter Meinels Moderation Redner auf, was die draußen Gebliebenen über Lautsprecher verfolgen konnten.

Der 20. Oktober war die Geburtsstunde des „Runden Tisches“ in Klingenthal. Neben Pfarrer Meinel als Gesprächsleiter nahmen daran auch Frau Dr. Stephan und Dr. Günter Kunzmann teil. „Es war ein komisches Gefühl, plötzlich mit den Genossen der oberen Charge auf gleicher Augenhöhe zu sprechen“, sagt Meinel, dessen schwierigste Aufgabe am 5. Dezember anstand, als er mit einem halben Dutzend vom Bürgerkomitee das Stasi-Gebäude in der Kirchstraße betrat. Als ob man sie schon erwartet hätte, waren 14 Beamte plus Chef anwesend – die Akten nicht mehr. Beeindruckt und bedrückt war Meinel von der Waffenkammer im Keller mit Maschinengewehren, Pistolen, Handgranaten, Panzerfäusten und zwei Gasbehältern mit russischer Aufschrift. Die Waffen wurden einige Tage später von der Volkspolizei abgeholt.

Höhepunkt der Klingenthaler Demos war der 4. November mit rund 8000 Teilnehmern, die sich nach dem Marsch auf dem Markt versammelten. Nach der Maueröffnung am 9. November ebbte das Interesse ab. Meinel war später Initiator für die Übernahme des Kindergartens in der Kirchstraße in die Trägerschaft der evangelischen Kirche. Nach den ersten freien Wahlen zog er sich von der politischen Bühne zurück.

Im Gedenkgottesdienst, an dessen Vorbereitung Barbara Pfeiffer vom Zwotaer Pfarramt wesentlichen Anteil hat, wurden interessante Fotodokumente der Klingenthaler Wende auf eine Leinwand projiziert. Pfarrer Meinel sprach davon, wie ihn und seine Familie die damalige Zeit geprägt habe und warum sie ihn bis heute nicht mehr losgelassen hat. Rückblickend, so sagt er, würde er heute alles wieder genauso machen, wobei das Ganze für ihn etwas mit dem Glauben zu tun hat. Gott habe die Menschen behütet, und die Kirche war für sie seinerzeit ein bergender Raum. 1993 verließ er aus familiären Gründen Klingenthal und folgte gleichzeitig einem Ruf des Landesbischofs nach Schneeberg.

Quelle: Vogtland-Anzeiger vom 01.06.2011
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Nachruf auf Hansjörg Weigel, den Begründer des Christlichen Friedensseminars Königswalde

Am 29. April 2020 verstarb Hansjörg Weigel im Alter von 77 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion. Hansjörg Weigel gründete 1973 das Christliche Friedensseminar Königswalde. Er war der konzeptionelle Kopf des Seminars und ein wichtiger Wegbereiter der Friedlichen Revolution. Der gelernte KfZ-Elektriker verweigerte 1963 den Wehrdienst und kam als Bausoldat zur Nationalen Volksarmee. Aus dieser Erfahrung heraus wollte er anderen Wehrdienstverweigerern Beistand bieten und lud nach Königswalde ein. Dort kamen junge Leute aus der ganzen DDR zusammen, um Fragen des Wehrdienstes und der Verweigerung zu besprechen. Die im Frühjahr und Herbst stattfindenden Treffen unter dem Dach der Kirche zogen von Jahr zu Jahr mehr Sympathisanten an. Sie entwickelten sich zu einem Kristallisationspunkt einer Gegenöffentlichkeit und gerieten deshalb ins Visier der Staatssicherheit. Die Stasi versuchte mit verschiedenen Methoden, das Seminar zu verhindern. 1980 wurde Weigel zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Da sich die Kirche und auch Westmedien intensiv für ihn einsetzten, kam er nach knapp drei Monaten frei.

Was Hansjörg Weigel in der sächsischen Provinz begann, erreichte bald eine große Sichtbarkeit und Wirkung. Lutz Rathenow erinnert sich: „Die ehemaligen Bausoldaten waren für mich die erste wirksame Oppositionsgruppe, die innerhalb der DDR für mich sichtbar geworden ist.“ Auch Erich Loest würdigte Königswalde: „Wenn je die Geschichte des Widerstands der DDR-Christen geschrieben wird, dann wird man in Königswalde, einem kleinen Dorf bei Chemnitz, anfangen müssen. (…) In Königswalde haben die Leute geübt, den Kopf zu erheben und hochzuhalten.“

Michael Beleites, ehemaliger Sächsischer Landesbeauftragter und Weggefährte, erinnert an seine persönlichen Begegnungen mit ihm: „Hansjörg hat in den 70er und 80er Jahren Menschen in der ganzen DDR inspiriert für ein Friedensengagement, das befreiend gewirkt hat. Er war nicht nur mutig, er war ein Mutmacher, der vielen anderen die Angst vor möglichen Repressionen genommen hat. Er hat selbst vorgelebt, dass man unabhängig von den äußeren Umständen innerlich frei ist, wenn man ein Bewusstsein von der eigenen Würde hat. Er hat immer auch um die Würde der anderen gewusst und vor niemanden Angst gehabt – auch vor der Stasi nicht. Hansjörg war einer, der seine friedenspolitischen Initiativen und sein oppositionelles Wirken auf der Basis eines „normalen“ praktischen Berufs betrieben hat. Er war ein Mensch, der bei all der inspirierenden Zuwendung für Außenseiter und Alternative selbst fest verwurzelt in einer ländlich lebenden Dorfgemeinschaft geblieben ist. Hansjörg hat uns gelehrt, dass Heimatverbundenheit und Weltoffenheit keine Gegensätze sind. Er war ein bodenständiger Revolutionär, der wohl deswegen die Belange der kirchlichen Friedensbewegung so glaubwürdig vermitteln konnte, weil er selber authentisch war in seinem Glauben, in seinen Worten und in seinen Werken.“

Informationen zurm Christlichen Friedensseminar: http://www.friedensseminar.de

Foto: Christliches Friedensseminar in Königswalde (c) Martin-Luther-King-Zentrum  Werdau